Vorwort des Ausstellungskataloges von 1999
Diese
Ausstellung ist das (vorläufige) Ergebnis eines langen Arbeitsprozesses,
dessen Fortgang von lebendigen Auseinandersetzungen, produktiven Einfällen,
spontanen sowie wohl überlegten Entscheidungen und richtungsweisenden
Beschlüssen bestimmt und begleitet wurde. Das Vorwort dieses Katalogs
soll den Besucherlnnen einen Einblick in unsere Reflexionen, Debatten
und Aktivitäten geben.
Ausgangspunkte
Den Ausgangspunkt
bildeten jene Frauen und Institutionen, die bereits zum Thema gearbeitet
und sich engagiert hatten. Die Mahn- und Gedenkstätte in Ravensbrück
ist seit Jahren bemüht, aus dem ehemaligen Lagergelände einen
Ort des Trauerns, Erinnerns, Mahnens und der Auseinandersetzung zwischen
den Generationen zu machen. In Österreich unternahmen es vorwiegend
Überlebende des Lagers, die Erinnerung und Sensibilität gegenüber
alten und neuen Erscheinungsformen nationalsozialistischer Politiken wachzuhalten.
In den 80er Jahren erschienen die beiden Bücher "Der Himmel ist blau.
Kann sein" und "Ich geb Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit
tragen kannst" der Herausgeberinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger,
Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori. Sie machten zum ersten Mal vor
allem die unterschiedlichsten Formen des Widerstehens gegen das nationalsozialistische
Regime einer breiteren LeserInnenschaft zugänglich. Vier der Oral-History-Interviews
wurden auch filmisch umgesetzt und gelangten unter dem Titel "Küchengespräche
mit Rebellinnen" ins Kino. In jüngster Zeit haben Brigitte Halbmayr
und Helga Amesberger vom Institut für Konfliktforschung eine breit
angelegte Forschungsarbeit "Lebenserinnerungen. Eine Dokumentation über
die inhaftierten Österreicherinnen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück"
unternommen. Sie haben über vierzig Überlebende interviewt,
von denen einige Lebensgeschichten zur Grundlage unserer Ausstellung geworden
sind. Die Interviews wurden von einer Gruppe engagierter Filmemacherinnen
gefilmt. Tina Leisch und Corinne Schweizer gestalteten aus diesen Interviews
den Film für die Ausstellung. Ein Videoarchiv mit den gesamten Interviews
ist geplant. (Informationen zum aktuellen Stand dieser Projekte finden Sie hier >>)
Der
biographische Zugang
Vor ungefähr zwei Jahren
konkretisierte sich die Idee bei den Frauen der Österreichischen
Lagergemeinschaft Ravensbrück, in Zusammenarbeit mit jüngeren
Freundinnen nach mehr als dreißig Jahren wieder ein Ausstellungsprojekt
zu initiieren. Konsens innerhalb der Gruppe
war von Anfang an, die Erlebnisse und Erfahrungen jener Frauen zu zeigen,
die bisher im Hintergrund gestanden waren, etwa hinter so bekannten Inhaftierten
wie der ermordeten Käthe Leichter oder der Überlebenden Rosa
Jochmann. Die von uns dargestellten Biographien sollten unterschiedlichste
Lebenszusammenhänge zeigen, aus denen die Frauen durch die nationalsozialistische
Verfolgung gewaltsam gerissen wurden. Über den Stellenwert der einzelnen
Lebensgeschichten in ihrer Beziehung zur "Politik" oder dem sozialen Umfeld
waren wir uns lange Zeit uneinig. Jenen Frauen, die den Akzent deutlich
bei der Biographie setzten, wurde "Personalisierung" oder "Entpolitisierung"
vorgeworfen, sie konterten den "Strukturalistinnen" mit schematischer
Vereinfachung oder Entwertung subjektiver Erfahrung zum bloßen Exempel
abstrakter Kategorien. Nach langen inhaltlichen Diskussionen erarbeiteten
wir eine "Grundstruktur", die die selbsterzählte Lebensgeschichte
der jeweiligen Frau ins Zentrum rückt. Dokumente und erklärende
Informationstexte sollen den Bezug zum sozialen und politischen Umfeld
herstellen. Die bürokratisch-entmenschlichende Sprache der Dokumente
wird dabei den persönlichen Erzählungen der Opfer dieser Stigmatisierungen
gegenübergestellt.
Formen der Umsetzung
Wir
entschieden uns gleichzeitig für eine formale Dreiteilung der präsentierten
Lebensgeschichten in jeweils einen Zeitabschnitt vor, während und
nach der Lagerhaft. Die mediale Umsetzung des mittleren Teils als Video
erlaubte es uns, die Erfahrungen des Lagers als Bruch der unterschiedlichen
Lebensgeschichten zu markieren. Die zurückhaltende Form der Darstellung
soll unkommentiert die unterschiedlichen Erfahrungen und Erzählweisen
der Frauen in den Mittelpunkt rücken.
Ihr
Leben vor der Verhaftung und Deportation erfährt in diesem Konzept
der Dreiteilung die gleiche Aufmerksamkeit wie die KZ-Haft und ihr Leben
von der Befreiung bis zur Gegenwart. Dieser Zugang thematisiert nicht
nur Sozialisationen und Lebenswege der Frauen, sondern auch Aspekte der
individuellen Geschichte nach 1945, so etwa die Frage der Entschädigung,
des Erinnerns und Gedenkens sowie der subjektiven als auch gesamtgesellschaftlichen
Verarbeitung dieses Teils der österreichischen Geschichte.
Die
Frauenbiographien
Es werden insgesamt
neun Biographien präsentiert: Eva Gutfreund, eine als "Nichtarierin"
kategorisierte Wienerin, die Sintezza Rosa Winter, die Kärntner Slowenin
Anna Olip-Jug, Christine Berger-Wagner, die im Leobner Widerstand tätig
war, die Zeugin Jehovas Katharina Thaller, die burgenländische Romni
Gisela Sarközi-Samer, Hermine Nierlich-Jursa, die im kommunistischen Widerstand
in Wien aktiv war und Aloisia Hofinger, die eine Liebesbeziehung zu einem
polnischen Zwangsarbeiter hatte. Sowohl mit Hörstationen als auch
im Video haben wir die Stimmen und Erzählweisen der Frauen den BesucherInnen
zugänglich gemacht. Wir beschlossen, die Überlebenden ihre Erlebnisse
aus der KZ-Haft ausschließlich selbst berichten zu lassen. Keine
noch so bemühte Nacherzählung hätte an die Tiefe, Komplexität
und Unmittelbarkeit ihrer Schilderungen herangereicht. Die Lebensgeschichte
von Leopoldine B., der kein aktuelles Interview zugrunde liegt, haben wir
aus folgenden Gründen in die Ausstellung aufgenommen: Sie steht einerseits
für die vielen Frauen, für deren Verschleppung ins Lager von
den NationalsozialistInnen die Beweise vernichtet wurden. Sie selbst kann
und konnte kein Zeugnis ablegen: sie starb 1967 und wurde bis dahin niemals
zu ihren Verfolgungserfahrungen befragt. Dieses Schweigen rührt jedoch
- und das war der zweite Grund, ihre Geschichte aufzunehmen - von der
ihr eigenen Verfolgungsgeschichte her. Leopoldine B. wurde wegen ihrer
sexuellen Beziehungen zu anderen Frauen 1940 verurteilt, ein Tatbestand,
der bis zu ihrem Tod strafbar blieb.
Der
feministische Zugang
Setzte das
NS-Regime dem emanzipatorischen Aufbruch vieler Frauen ein jähes
Ende oder mobilisierte ihn für rassistische Utopien, verbannte die
Nachkriegszeit weibliche Kreativität in Familie und Privatsphäre.
Mit der bewussten Fokusierung auf die Lebensgeschichten von Frauen
wollen wir einer Marginalisierung und Ausklammerung sexistischer Formen
nationalsozialistischer Gewaltpraxis und ihrer Folgen entgegenwirken.
Eine feministische Perspektive soll dabei nicht nur als Ergänzung
eines männlich-zentrierten Geschichtsbildes verstanden werden. Sie
fordert uns vielmehr heraus, überkommene Konzepte, wie etwa von Widerstand
mit seiner klaren Hierarchie zwischen bewaffnetem und unbewaffnetem Kampf,
zu überdenken und die spezifisch gegen Frauen, ihre Körper und
ihre Sexualität gerichtete Gewalt sichtbar zu machen.
Erinnern
an die Ermordeten
Orientierten wir uns von Anfang
an an den Überlebenden des Konzentrationslagers, stellte sich immer
wieder das Problem, die Lebensgeschichten ermordeter Frauen dadurch auszuklammem.
Den Ermordeten eine symbolische Präsenz, etwa durch eine künstlerische
Umsetzung, zu verleihen, war ein viel diskutierter Ansatzpunkt. Es blieb
jedoch ein Unbehagen, dadurch der Auseinandersetzung mit den Ermordeten
aus dem Weg zu gehen und sie auch formal von den anderen Biographien zu
separieren. Viele Überlebende entgingen ihrer eigenen Ermordung nur
knapp, ihre ermordeten Freundinnen, Kameradinnen und unzählige Unbekannte
bilden einen integralen Bestandteil ihrer Erinnerungen. Die Erzählungen
Christine Berger-Wagners über die ermordete Freundin, die sie auf
dem Transport von Ravensbrück in ein Nebenlager kennenlernte, wurden
Ausgangspunkt für eine Tafel über Anna Gadol-Peczenik, die 1945
im KZ Buchenwald erschossen wurde. Die Töchter der in Ravensbrück
ermordeten Anna Lasser bemühen sich seit Jahren um Informationen
zu ihrer Mutter. Hier sah die Kollegin, die an dieser Tafel arbeitete,
enge Bezüge zur Suche nach Erinnerung und Identität der nachgeborenen
Generationen. Die Leere, die die Ermordung zurückließ, soll
durch eine dritte Tafel ohne biographische Anhaltspunkte angedeutet werden.
Ravensbrück
zum Begriff machen
Als allgemeine
Zielsetzung war es uns immer ein Anliegen, den historischen Ort Ravensbrück
auch in Österreich zu einem Begriff zu machen. Drei Tafeln sind daher
den wichtigsten allgemeinen Informationen zum Frauen-Konzentrationslager
gewidmet.
Dank
an die Zeitzeuginnen
Die Ausstellung
lebt durch jene Frauen, die dargestellt werden. Wir möchten ihnen
hier nochmals für ihre Einwilligung zur Veröffentlichung, ihre
Kooperationsbereitschaft und ihr Engagement bei der Recherche, ihre Diskussionsbereitschaft
und Umsicht beim Korrigieren danken. Wir hoffen, dass viele von ihnen
die Ausstellung als Zeitzeuginnen im Dialog mit den BesucherInnen begleiten
werden.
Den BesucherInnen
hoffen wir einen Anstoß zum Staunen und mutigen Denken gegeben zu
haben und wünschen einen anregenden Ausstellungsbesuch.
Katrin Auer,
Daniela Gahleitner, Sylvia Köchl, Corinna Oesch, Christa Putz, Michaela
Schaurecker
November 1999
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