Aloisia Hofinger
„Ich bin froh, dass ich heute lachen kann.“

Im November 1943 wurde Aloisia Hofinger, vermutlich dank der Gnadengesuche ihres Dienstgebers, aus dem Konzentrationslager entlassen. Zwei Wochen vor ihrer Heimkehr erfuhr sie vom Tod ihrer Tochter. Annemarie, die während der KZ-Haft ihrer Mutter von der Bauernfamilie versorgt wurde, war im Alter von 15 Monaten an Diphterie gestorben. Vor ihrer Entlassung musste Aloisia Hofinger ein Dokument unterschreiben, dass sie über das KZ schweigen würde, ansonsten drohe ihr wieder KZ-Haft. Sie kehrte an ihren alten Arbeitsplatz in Ottensheim zurück und obwohl sie von ihrer dienstgebenden Bauernfamilie jede Unterstützung erhielt, lebte sie aus Angst vor weiterer Repression in den nächsten Jahren sehr zurückgezogen. Sie arbeitete weiterhin auf dem Bauernhof und lernte so ihren zukünftigen Mann Johann kennen, der ebenfalls Bauer und ein Gegner des Nationalsozialismus war. Im April 1945 heirateten die beiden und in den folgenden Jahren kamen ein Sohn und zwei Töchter zur Welt. Auf eine Entschädigung für ihre geleistete Zwangsarbeit bei Siemens & Halske in Ravensbrück wartet Aloisia Hofinger noch heute.

Im Zuge der Entschädigungszahlungen an ehemalige Sklaven- und ZwangsarbeiterInnen erhielt sie schließlich eine Entschädigung für ihre Zwangsarbeit bei Siemens.


„ Da hab ich die Nachricht aber schon dort gekriegt, dass sie [Tochter Annemarie] gestorben ist. Und ich habe aber nicht g´flennt. Überhaupt nicht flennen können. Kein Gespür davon g´habt. Danach hab´ ich dann g´sagt: „Gottseidank, dass sie der Herrgott g´nommen hat!“ Aber auch nur wegen der Leute. Ich hab mir oft gedacht, vielleicht is es besser, dass sie g´storben is. Daß sie sich nichts anhören muss. Weil die Leut sind ja eh gemein. “



„ Interviewerin: Haben Sie mit jemandem über ihre Erfahrungen im KZ reden können?
Nur mit meinen Kindern. Und denen wollt ich es net erzählen. Überhaupt die ältere Tochter, die hat ja so viel g´fragt. „Greti,“ hab ich g´sagt, „du flennst dann alleweil wieder so viel, ich will des net.“ Die hat ja die ganze Nacht gflennt. Der hab ich so viel erbarmt, weil sie es gar nicht glauben hat können, dass man sowas durchsteht. Ja aber sie hat alleweil wieder gefragt. Ich hab´s ihr dann schon wieder erzählt, weil ich selber froh war, wenn ich was erzählen hab können. (…) Und mit den Eltern hab ich nie ein Wort g´redt darüber. Über´s Lager is nie g´redt worden. Die haben mich nie gefragt, wie´s mir gangen is und ich hab nichts g´sagt. Warum die nicht g´fragt haben, weiß ich nicht. Das hat mir lang weh getan, weil ich hätt´ es ihnen gern erzählt, wie das war und warum´s zustande gekommen is. Ich hab ja da so viel g´arbeitet für die [Siemens] und die haben ja billige Arbeitskräfte g´habt. Ich will jetzt nicht sagen, ich habe jetzt für die oder die g´arbeitet, die haben uns ja eh dazu gezwungen, dass wir das machen. Find´ ich schon berechtigt, dass wir für die Zeit was kriegen.
Ja, ich bin froh, dass ich heut´ lachen kann.
Interviewerin: Haben Sie lang nicht lachen können?
Na, ich war so ernst. Es war furchtbar. Aber … mir haben die Kinder so viel Freud g´macht. “



Warten auf Entschädigung


Seit 1933 hatte Siemens in der Produktion zunehmend Lohnarbeit durch Zwangsarbeit ersetzt. 1943 arbeiteten 42.000 ZwangsarbeiterInnen und 18.000 KZ-Häftlinge im Siemens-Konzern, das waren mehr als 30 Prozent der gesamten Belegschaft. Nach 1945 entzog sich Siemens den Entschädigungsforderungen mit der unwahren Behauptung, von der nationalsozialistischen Führung zur Beschäftigung von KZ-Häftlingen und ZwangsarbeiterInnen gezwungen worden zu sein. In den sechziger und neunziger Jahren zahlte Siemens an jüdische und osteuropäische ZwangsarbeiterInnen die ersten Entschädigungen. Mittlerweile verhandelt die deutsche Regierung über die Einrichtung einer Stiftung für Entschädigungszahlungen. Deutsche Unternehmen – darunter Siemens, BASF, Bayer, VW – werden sich finanziell an diesem Fonds beteiligen, allerdings unter der Bedingung, durch eine Vertragsklausel vor weiteren Klagen geschützt zu sein.

Ergänzung 2009:
Im Jahr 2000 wurde in Deutschland die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gegründet, an der sich u.a. Siemens finanziell beteiligte, um Entschädigungszahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen durchzuführen. Bis zum Jahresende 2005 ermittelte die Stiftung weltweit 1,64 Millionen Anspruchberechtigte. In Österreich wurde ebenfalls im Jahr 2000 der Österreichische Versöhnungsfonds zur Entschädigung von ehemaliger Zwangsarbeit im Gebiet der heutigen Republik Österreich gegründet. Bis zum Ende der Antragsfrist wurden über 110.000 Anträge genehmigt.