„Das kann sich niemand vorstellen, Tag und Nacht, wenn man Angst hat”
Das weiß ich jetzt wirklich nicht, ich habe schon nachgedacht, was die nächste Station war. Aber ich glaube, wir sind gleich nach Ravensbrück gefahren, nach Mecklenburg, Fürstenberg. Ich weiß keine Zwischenstation mehr. Dort haben sie uns ausgeladen, dort haben Lastautos gewartet, alles war finster, weil alles verdunkelt war. Kein Licht, nirgends. Mein Gott, und da hinauf auf die Lastautos. "Hinaus, schnell, schnell, schnell!” Im Laufschritt hinein und auf das Lastauto hinauf. Ich war jung, da waren aber ältere Frauen dabei. Aber da ist niemandem geholfen worden und der Aufseher hat uns noch mit einem Hund gehetzt. Das war einfach furchtbar, der Anfang, das war furchtbar. Auf einmal, man hat gar nicht denken können, ich hab einfach nicht denken können. Dann sind wir gefahren, alles wurde zugemacht. Und dann sind wir halt in Ravensbrück angekommen. Und dort sind wir gleich ins Lager hineingefahren. Jessas Maria, so ein großer Lagerplatz, jetzt sind wir halt da gestanden, lange gestanden, ich weiß nicht wie lange, bis sie uns hineingelassen haben. Na, und dann die Entlausung, und wir sind angeschaut worden, ob man Filzläuse hat, und da sind wir geschoren worden, und die Haare sind geschnitten worden, weil eh alle verlaust waren. Na, und dann hinein ins Bad. Da hat man wieder im Gänsemarsch hineingehen müssen. Das war alles abgeschlossen, dass man nicht hinaus konnte. Die SS-Männer, so alle fünf Meter oder zehn Meter ist einer gestanden, und der hat eine jede begutachtet, wie wir hineingegangen sind. Also, vor den Männern hat man ja doch so viel Angst gehabt. Die haben auch zugeschlagen. Und zum Glück, ich bin überall so schön ausgschlofen [durchgekommen], hinter mir, vor mir, überall haben sie geschlagen. Aber ich hab einfach alleweil trotzdem Glück gehabt. Und hinein ins Bad. Na, und dort haben wir dann wieder so viel Angst gehabt, hoffentlich kommt’s Gas nicht. Wir haben nicht gewusst, kommt Wasser oder kommt Gas. Wir haben überhaupt nichts gewusst. Wie wir uns dann abgetrocknet haben oder was, das weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall haben wir uns dann Gewand genommen. Es war alles auf so einem Haufen beieinander. Gewand! Können Sie sich vorstellen, was das für ein Gewand war. Lauter gestreiftes Zeug und die Unterwäsche so dementsprechend halt. Und dann sind wir verteilt worden einfach: Die dorthin, die dorthin. Das haben sie eh schon alles fixiert gehabt. Und ich bin dann zu den Verfügbaren gekommen. Das ist extra wieder so eine Baracke gewesen, wo die Verfügbaren drinnen waren. Das habe ich auch nicht verstanden, was das heißt, am Anfang, ”verfügbar”. Und dann bin ich eh gleich draufgekommen. Da haben sie dich zu jeder Zeit abrufen können und zu jeder Arbeit hernehmen. Ist ganz egal gewesen, was, Lagerplatz putzen oder Lagerstraße putzen. Wenn es geheißen hat, "der Himmler kommt”, haben wir jedes Faunzal [jedes kleinste Stück] auf der Straße aufsammeln müssen und immer war die Aufseherin mit dem Hund hinter uns her. Oder Kohlen tragen ein paar Tag lang. Zu lauter so Arbeiten haben sie dich hergenommen. Wir hatten oft einen Tag dabei, wo wir drinnen gesessen sind, wo nichts zu tun war. Und dann hat es geheißen, dass man sich zu Siemens anmelden kann.
Und immer die Schlägereien und immer das Schlagen und immer das Schlagen. Zweimal hin- und hergehen. Da mussten wir immer Marschlieder singen. Es waren halt einfach immer die Peitschen in der Hand und immer neben dir. Ganz furchtbar. Und das Appellstehen, das war auch furchtbar. In der Früh schon von fünf weg bis sieben Uhr, zu Mittag wieder eine Stunde oder zwei Stunden stehen, und am Abend sowieso zwei, drei Stunden stehen. Wenn du heimgekommen bist, hast du die Suppe ausgelöffelt und hast dann rennen müssen und stehen. Und das war eigentlich die größte Strafe, die es dort geben hat, die Steherei. Und am Sonntag haben wir am Vormittag marschieren müssen, im ganzen Lager. Der ganze Zug, alles musste so herum und alles rundum gehen, damit du nur ja keine Ruhe gehabt hast. Na, und dann die Aufseher und Aufseherinnen, hauptsächlich Aufseherinnen hat man ja da gehabt, die haben dann ihren Gefallen gehabt. Da haben sie dann fest zuschlagen können. Und wir sind immer unter Druck gestanden.
Man hätte sabotieren können! Man hätte es! Wir haben auch geredet. Neben mir ist eine Polin gesessen, und die zweite, ich weiß nicht, ich glaube, das waren Schwägerinnen. Die war so viel fesch! Die, die neben mir gesessen ist. Haben sie immer gesagt, ich soll Fehler hineinmachen. "Mach Fehler hinein! Dass sie nichts machen können damit.” Ich war ja zu feig, ich habe mich ja nicht getraut. Und die haben es aber getan. Und die sind in den Bunker gekommen. Die sind nicht mehr zurückgekommen. Ich wollte ja leben! Ich habe ja das Kind damals gehabt! Ich wollte einfach leben! Und die haben so viel, so viel riskiert, dass es ganz aus gewesen ist.
Die haben schon sehr viel riskiert. Und von einer war sogar die Mutter auch dort. Da hat sich schon was abgespielt, es war schon, es war schon furchtbar. Naja, und eigentlich die Posten sind ja alle dann kontrolliert worden. Dann hast du ja die Nummer drinnen gehabt. Die haben ja genau gewusst, wer das war, der da sabotiert hat.
Interviewerin: Ja, genau.
Naja. Das hat nichts gebracht! Dann haben sie so viele Schläge gekriegt deswegen. Mein Gott na! Deswegen habe ja ich mich so viel gefürchtet! Mein Gott! Ich habe mich so viel gefürchtet!
Ich habe ein paar Frauen gesehen, wenn sie sie zurückgebracht haben. Wie die da gelegen sind! Nein! Ganz aufgehauen auf den Nieren da hinten. Furchtbar.
Das kann sich niemand vorstellen, Tag und Nacht, wenn man Angst hat. Das kann sich gar niemand vorstellen. Sehr, sehr bitter ist das. Und weil du dich halt nie, überhaupt nicht verteidigen kannst. Da musst du einfach "Ja” sagen, wenn du eine Frage kriegst. Ob es jetzt stimmt oder nicht, es ist ganz egal. Du bist einfach Null. Und das tut schon manchmal weh. Man gewöhnt sich. Das zweite halbe Jahr, du weißt es dann schon wirklich, dass du nichts mehr bist und dass du überhaupt nichts mehr bist, dass du komplett unter dem Strich bist. Weil die haben dich so erniedrigt und so behandelt, dass du dir gesagt hast, du bist ja gar kein Mensch mehr. Sagen wir wirklich, dass ein Tier viel besser war.
Es war schon eine traurige Zeit.
Aus: Ratuj mnie, reši me! (Rette mich), Österreichische Überlebende des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, 65 min. Weitere Informationen zum Film finden Sie hier.
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